Pilz-Aberglaube

Aus dem Reich der Mythen und Legenden


„Pilze sind eher Tiere als Pflanzen.“

Korrekt ist: Pilze sind weder das eine noch das andere. Sie bilden ein eigenes Reich unter den Lebewesen. Wenn man schon Vergleiche anstellen möchte, stehen sie trotz aller „tierartigen“ Eigenschaften, wie man sie bestenfalls bei einigen Schleimpilzen hineininterpretieren könnte, den Pflanzen näher.



„Nachts schießen sie aus dem Boden.“

Und in stillen Nächten kann man sogar das Ploppen hören. Nein, manchmal wundern wir uns zwar über den Pilzreichtum am frühen Morgen, doch es gibt keine Beweise dafür, dass Pilze nachts schneller wachsen als tagsüber. Anders als Pflanzen sind Pilze nicht in der Lage, die Tageshelle von der nächtlichen Dunkelheit zu unterscheiden und können folglich auch ihr Wachstum nicht auf den Wechsel von Tag und Nacht abstimmen. Lediglich bei trockener Witterung, wenn der Tau der Nacht die einzige Feuchtigkeit ist, die die Pilze abbekommen, beschränkt sich ihr Wachstum auf diese Stunden.



„Ich habe meine geheimen Pilzstellen.“

Vergessen Sie’s. Schlagen Sie es sich aus dem Kopf. Verabschieden Sie sich ein für alle Mal von der Vorstellung, dass Sie die einzige Person auf Erden sind, die in einem bestimmten Gebiet Pilze suchen geht. In unseren Wäldern geht es während der Pilzsaison hoch her, und Sie wären erstaunt, wenn Sie wüssten, wie viele Pilzsammler auf Ihre „top-geheime“ Pilzstelle kommen.



„Zur Sicherheit immer einen Silberlöffel mitkochen!“

Ganz langsam stirbt der Aberglaube aus, der besagt, dass man Giftpilze im Kochtopf leicht erkennen könne, wenn man einen Silberlöffel oder eine ganze Zwiebel mitkoche und diese sich dann schwarz verfärben. Andere gefährliche Irrtümer halten sich da schon hartnäckiger. So soll Schneckenfraß an einem Pilz ein Zeichen dafür sein, dass dieser auch für Menschen bekömmlich wäre. Schmeckt ein Pilz bitter oder scharf, soll dies ebenfalls ein Zeichen für seine Giftigkeit sein. Bisweilen hört man auch die Aussage, dass Pilze mit hohlen Stielen grundsätzlich giftig seien und solche mit vollfleischigen Stielen stets essbar, sowie dass jeder Pilz genießbar werde, wenn man ihn nur lange genug koche. Es ist erstaunlich, dass sich dieser Unsinn so fest in den Köpfen der Menschen hält, wo doch schon unser schlimmster Giftpilz, der Grüne Knollenblätterpilz, beinahe jeden dieser Sätze ad absurdum führt: Er wird häufig von Schnecken angefressen, duftet nach Honig und hat einen angenehmen süßkartoffelartigen Geschmack, und Sie könnten ihn bis zur Unkenntlichkeit zerkochen, seine Gifte würden stabil bleiben und dabei noch nicht einmal den winzigsten englischen Teelöffel schwärzen, und sei er aus purem Silber. Zugegeben, einen hohlen Stiel hat er, womit noch eine einzige Regel übrig bleibt, die es noch zu eliminieren gilt. Dazu schauen wir uns am besten eine bestimmte Gruppe tödlich giftiger Schleierlinge an, die samt und sonders vollfleischige Stiele haben, und schon ist jede der oben aufgeführten „Regeln“ ihrer Gültigkeit beraubt.

Es gibt in der Tat keine einzige allgemeingültige Regel, anhand derer man ohne Artenkenntnis einen Giftpilz von einem Speisepilz unterscheiden könnte. Bitte glauben Sie es!



„Bloß nicht aufwärmen!“

Pilze werden durch das Aufwärmen nicht unverträglich. Da können Sie ganz beruhigt sein. Wodurch sie jedoch unverträglich werden können, ist die Zeit zu vergammeln, die Sie ihnen bis zum Zeitpunkt des Aufwärmens geben, und die ist umso kürzer, je älter die Fruchtkörper sind, aus denen die Reste Ihrer Pilzmahlzeit bestehen. Sie sollten sich immer der Tatsache bewusst sein, dass Pilze sehr schnell verderben und dazu oft nur ein paar Stunden brauchen. Das einzige, was sie davon abhalten kann, ist sie zu trocknen, einzumachen oder einzufrieren. Wenn Sie ein Pilzgericht also noch einmal aufwärmen möchten, dann sollten Sie nur junge, festfleischige Fruchtkörper sammeln.



„Pilze sind sehr gesund!“

Das ist wohlgemeint, hat ein Fünkchen eines wahren Kerns, ist jedoch alles in allem stark übertrieben. Pilze bestehen aus Wasser und unverdaulichem Chitin, womit 98% der Pilzmasse bereits erschlagen wären? 100 g Pilzfleisch enthalten durchschnittlich 0,9 g Eiweiß, 0,5 g Kohlenhydrate (Zucker), 0,3 g Fett sowie winzige Mengen Mineralstoffe und Spurenelemente. Bei Speise- und Giftpilzen kann der Eiweißanteil geringfügig höher sein (etwas mehr als 2 g). Sie müssten also schon ordentlich reinhauen, um eine nennenswerte Menge „Verwertbares“ abzubekommen. Das sollten Sie jedoch tunlichst vermeiden, denn Pilze sind sehr schwer verdaulich, und Sie wären nicht die erste Person, die sich durch übermäßigen Pilzverzehr einen Darmverschluss einhandelte. Pilze können zwar Ihrer Figur nicht das Geringste anhaben, doch sollten Sie nicht den irrigen Umkehrschluss wagen, dass sie deshalb besonders gesund wären.

Als Sattmacher und als Ballaststoffe sind sie freilich recht gut zu gebrauchen. Auch gibt es inzwischen Hinweise darauf, dass sich einige der in Pilzen enthaltenen Substanzen positiv auf die Behandlung verschiedener Erkrankungen auswirken können. Doch zu behaupten, sie hätten besondere Heilkräfte und man könne sie erfolgreich als Arzneimittel verwenden, dafür gibt es keine wissenschaftliche Evidenz. Vielmehr haben wir es hier mit Esoterik und Pseudowissenschaft zu tun.



„Vorsicht vor dem Fuchsbandwurm!“

Der Fuchsbandwurm ist ohne Zweifel das moderne Schreckgespenst der Wälder. Wäre ein berühmtes Märchen erst in der heutigen Zeit entstanden, so hieße es bestimmt „Base-Cap und der böse Fuchsbandwurm“, und die Moral von der Geschicht’ lautete: Ja, Kinder, wenn ihr im Wald Pilze und Beeren suchen geht, kriegt ihr den Fuchsbandwurm und verreckt. Und wenn ihr euch nackig auszieht und euch gegenseitig anfasst, bekommt ihr Chlamydien und sterbt.

Die Wahrheit sieht doch ein bisschen anders aus: In ganz Europa werden pro Jahr lediglich 30 bis 40 Menschen vom Fuchsbandwurm getötet. Bei keinem von Ihnen konnte nachgewiesen werden, dass er sich über den Verzehr von Beeren und Pilzen infiziert hatte. Selbst Experten halten diesen Infektionsweg für unwahrscheinlich. Auch konnte selbst in Gebieten mit hohem Anteil an positiv getesteten Füchsen kein Anstieg von Erkrankungen bei den dort lebenden Menschen gemessen werden. Außerdem wissen wir, dass sogar bei Aufnahme einer Fuchsbandwurmfinne diese den Menschen nur in einem von 300 Fällen als Wirt annimmt.

Wer dennoch auf Nummer sicher gehen möchte, sollte seine Pilze stets braten oder kochen, denn Temperaturen über 60°C halten die Finnen nicht aus. Dagegen sind sie kälteresistent bis hin zu -80°C, und das bedeutet, dass das Einfrieren zumindest in punkto Fuchsbandwurm nichts nützt.



„Alle Pilze, die es zu kaufen gibt, sind gezüchtet.“

Diese Annahme stimmt leider nicht. Zwar sind Champignons (die auf Deutsch eigentlich Egerlinge heißen), Stockschwämmchen und Austernpilze in der Tat Zuchtpilze, jedoch nicht die in Konserven, Gläsern und Körbchen angebotenen Unmengen von Pfifferlingen, Steinpilzen und anderen Waldpilzen. Wir haben bereits gelernt, was Fäulnisbewohner und Wurzelpilze sind. Fäulnisbewohner lassen sich zumeist sehr gut züchten. Die Lebensgemeinschaft zwischen Wurzelpilzen und Bäumen ist jedoch so komplex, dass es bisher noch nicht gelungen ist, sie künstlich zu erzeugen. Da Steinpilze, Pfifferlinge und die meisten Waldpilze aber Wurzelpilze sind, können sie folglich nicht gezüchtet werden und müssen der Natur entnommen werden. Es ist leicht nachvollziehbar, dass ein solcher Raubbau ökologisch bedenklich ist. Deshalb ist es gemäß dem Deutschen Naturschutzgesetz illegal, in Deutschland gesammelte Pilze gewerblich zu verwerten. Das bedeutet, dass Waldpilze, die es hier zu kaufen gibt, stets aus dem Ausland stammen, meist aus Polen oder dem Baltikum. Es vergehen sehr oft viele Stunden oder einige Tage, bis diese Pilze in Konserven gefüllt oder hier angeliefert werden. Da Pilze sehr schnell verderben, bedeutet dies, dass sie das Kriterium der Frische dann nicht mehr erfüllen. Deshalb, und weil die fragwürdigen Methoden der gewerblichen „Großsammler“ schwere Schäden in der Natur anrichten, sollten Sie ausschließlich Zuchtpilze wie Champignons, Stockschwämmchen oder Austernpilze kaufen.

Es ist nicht verwerflich, sich sein Körbchen Pilze aus dem Wald mitzubringen. Jeder darf Pilze in geringen Mengen für den Eigenbedarf sammeln. Wer jedoch große Mengen sammelt und seinen Kofferraum mit mehreren Körben und Kisten voll stellt, macht sich strafbar! Das gilt ganz besonders dann, wenn er sie weiterverkauft. Also Vorsicht, liebe Freizeit-Pilzhändler, wir Pilzsachverständigen haben im Rahmen der Marktkontrolle auch darauf ein Auge!



„Wildschweine rotten die Steinpilze aus!“

Wildschweine rotten keine Pilze aus. Nur Menschen tun das. Die Veränderung oder gar Zerstörung der Lebensräume macht vielen Pilzarten das Leben schwer. Steinpilze, Maronen und andere Röhrenpilze zum Beispiel brauchen saure Böden, um zu gedeihen. Regelmäßige Kalkung von Fichtenwäldern zur Reduzierung der Bodensäure führt stets zum deutlichen Rückgang dieser Arten, und das über mehrere Jahre hinweg.



„Pilze muss man schälen.“

Aber nicht doch! Die Huthaut und die Stielrinde bestehen aus demselben Material wie das Fruchtfleisch, es ist nur etwas anders strukturiert. Sie sind auch ebenso schmackhaft und bekömmlich. Alles an einem Speisepilz ist also essbar. Sie müssen Ihre Funde nicht pellen, schälen oder abschaben. Wenn Ihnen die Lamellen oder der Röhrenschwamm unter dem Hut unappetitlich erscheinen, so ist dies nur wieder ein Hinweis darauf, dass Sie einen zu alten Pilz mitgenommen haben. Spätestens in der Pfanne wird sein Fleisch ebenfalls zu einer glitschigen Masse werden, und darauf möchten Sie sicher verzichten.



„Radioaktivität und Schwermetalle sind gefährlich!“

Das sind sie, jedoch nicht in dem Maße, wie immer behauptet wird. Die Werte sind so gering, dass man schon eine Menge Pilze essen müsste, um Strahlenschäden oder eine Vergiftung zu erleiden. Bis dorthin hätte man aber längst den schönsten Darmverschluss, weil Pilze eben nur sehr schwer verdaulich sind. Letzteres ist ja der eigentliche Grund, warum man Pilze nur in Maßen essen sollte. Über die Gesundheitsgefährdung durch Radioaktivität und Schwermetalle mache ich mir keinen Kummer – wenn ich nur ein Mal zur Stoßzeit in Köln am Straßenverkehr teilnehme, muss ich eine viel stärkere Schadstoffbelastung erdulden als durch die Wildpilze auf meinem Teller.



„Pilzgerichte sind im Voraus zu bezahlen!“

Tödlich giftige Pilze enthalten weder Strychnin, noch Zyankali noch Pfeilgift. Wer glaubt, dass man nach dem Verzehr eines Giftpilzes sofort tot umfällt, hat keine Vorstellung davon, wie langwierig und qualvoll der Tod durch Giftpilze ist.

Ich kann Ihnen versichern, dass Sie nach einem Pilzessen, das ausschließlich aus Grünen Knollerblätterpilzen bestünde, noch reichlich Zeit hätten, die Rechnung zu bezahlen sowie eine zweite Portion zu bestellen und aufzuessen. Auch diese zweite Bestellung könnten Sie bei bestem Wohlbefinden in aller Ruhe im Nachhinein bezahlen, und Sie würden noch einige Stunden von diesem vorzüglichen Essen schwärmen. Es würde insgesamt etwa sechs Stunden dauern, bis Sie sich zum ersten Mal unwohl fühlten. Es wäre auch durchaus nicht ungewöhnlich, wenn die ersten Beschwerden erst am nächsten Tag eintreten würden. Von diesem Zeitpunkt an jedoch wären Sie todkrank, und erst nach zwei Wochen unsagbaren Leidens bekämen Sie den erlösenden Besuch von dem mageren Burschen mit der Sense.

Pilzvergiftungen dagegen, die unmittelbar nach dem Essen auftreten, sind zumeist ungefährlich. Gewiss, sie können ausgesprochen unerfreulich sein, doch am Ende werden Sie wieder ganz gesund und um eine Erfahrung reicher sein.



„Giftpilz angefasst – oh Schreck!“

Hier liegt man weder mit übertriebener Vorsicht noch mit großem Leichtsinn richtig. Grundsätzlich ist es ungefährlich, Giftpilze anzufassen. Wenn überhaupt, gelangen nur winzige Mengen des Giftes an Ihre Finger. Selbst wenn Sie danach den Finger in den Mund stecken, genügt diese Giftmenge nicht, um Vergiftungen auszulösen.

Bei tödlich giftigen Arten sollte man jedoch im Auge behalten, dass geringe Mengen ihrer Gifte bereits tödlich sein können. Vom Gift des Grünen Knollenblätterpilzes zum Beispiel genügen 6 mg, um einen erwachsenen Menschen zu töten. Diese Menge befindet sich bereits in einem 70 g schweren Fruchtkörper. Zerschneiden oder zerdrücken Sie einen solchen Fruchtkörper, werden geringere Mengen des Giftes womöglich auf Ihre Haut gelangen, die zumindest theoretisch leichtere Vergiftungserscheinungen auslösen könnten, wenn sie in den Verdauungstrakt geraten. Das bloße Anfassen oder Berühren darf aber als unbedenklich angesehen werden.