Frische Pilze – jeder will se
Ein Leitfaden für Pilzfreunde
Alljährlich im Herbst ist es soweit. Wenn die Witterung die nötige Feuchtigkeit bringt, dann zieht es uns Pilzliebhaber früh morgens in die Natur. Wenn wir den angenehmen Duft der Bäume riechen und der Waldboden dumpf unter unseren Schritten knirscht, dann suchen wir gespannt nach Steinpilzen, Maronen und Pfifferlingen. Wassertropfen funkeln im Moos, und viele kleine und große uns unbekannte Pilze verzieren das Bild des Waldes und kündigen die großen Funde an – ein wundervoller Tag steht uns bevor.
Da stört es uns auch nicht, dass wir nicht die einzigen Pilzjäger sind, und dass an unseren ach so geheimen Pilzstellen mehr los ist als im Phantasialand während der Sommerferien. Nun ja, ein bisschen stört es uns vielleicht doch, wenn wir ein Waldstück betreten und schon nach wenigen Schritten auf die ersten Leichenteile zerschnippelter Pilzfruchtkörper stoßen, von denen sich auf den zweiten Blick herausstellt, dass ihre strahlend weißen Fragmente den dunklen Boden des jungen Fichtenwaldes bereits übersäen und wir die Erkenntnis verarbeiten müssen, dass uns wer zuvorgekommen ist.
Dabei ist es so einfach, nachfolgenden Pilzfreunden zumindest die Illusion zu lassen, sich in einem ertragversprechenden Jagdgrund zu bewegen, und wenn es das schon nicht ist, so können sie sich immer noch am Anblick eines unberührten Stückchens Natur erfreuen.
Wie stellen wir es also an, dass wir uns nicht gerade wie das Messer im Pilzwald benehmen? Die Antwort steckt in der Frage: Wir vergessen das Messer einfach für eine Weile! Das fällt Ihnen schwer? Kein Wunder, schließlich ist es das Messer, an das jeder sofort denkt, wenn es ums Pilzesuchen geht. Der Transportbehälter, das Bürstchen – einerlei; nein, es ist das Messer, das mit muss!
Sie möchten gerne neue Pilzarten in Ihren Speisezettel aufnehmen, möchten gerne Ihre Kenntnisse über Pilze erweitern und vielleicht ein richtiger Pilzkenner werden? Dann vergessen Sie Ihr Messer!
Der Pilzkenner hat statt eines Messers eine Lupe, vor allem aber Papier und Blei dabei, und er trägt stets Trauer unter dem Nagel seines Zeigefingers. Er schneidet Pilze niemals am Stiel ab, sondern nimmt sie immer im Ganzen, mit Stumpf und Stiel aus der Erde. Die Stielbasis ist eines der wichtigsten Bestimmungsmerkmale der Pilze. Verbleibt sie im Boden, weil der Stiel mal wieder in die elende Zange zwischen Daumen und Klinge geriet, so ist zumeist die Chance vertan, eine neue Pilzart kennen zu lernen.
Der Pilzkenner rührt den Stiel des Pilzes nicht an, sondern bohrt seinen Zeigefinger in die Erde, um den ganzen Kerl aus dem Boden zu hebeln. Dabei drückt der Daumen sanft von oben auf die Pilzkappe. Schließlich klemmt der Pilz zart zwischen Daumen und Zeigefinger. Die feinen Merkmale am Stiel, die sich unter der Lupe offenbaren, bleiben so erhalten. Auch wer Pilze nur zum Essen sammelt, sollte auf diese Weise vorgehen, denn die Stielbasis bringt die Sicherheit, ob der Bursche nun „echt“ ist oder nicht. Die Humusreste und Fichtennadeln werden rasch mit dem Pilzbürstchen abgewedelt, dann kann der Fund ins Körbchen gelegt werden.
Diese Methode hinterlässt ein Loch im Boden, welches man sofort wieder mit Erdreich verschließt, damit das im Boden lebende Pilzgeflecht nicht austrocknet und bald schon wieder neue Fruchtkörper hervorbringt.
Auf dem mitgebrachten Papier notiert man sich, unter welcher Baum-Art und auf welchem Boden der Pilz gefunden wurde, denn auch diese Dinge sind wichtig, will man die gefundene Art später bestimmen oder einem Pilzsachverständigen zeigen.
Es wird Ihnen sicherlich noch schwerer fallen, das Messer aus dem Spiel zu nehmen, wenn es darum geht, Pilze auf Madenbefall zu prüfen. Doch man muss einen Fruchtkörper durchaus nicht vom Stiel bis zum Hut in Scheiben schnippeln, um dieser Frage nachzugehen.
Tippen Sie dem Pilz, noch bevor Sie ihn dem Untergrund entnehmen, einfach zuerst auf die Kappe. Ist die schon weich, und hinterlässt Ihr Fingerdruck eine Delle, so können Sie sicher sein, dass dieser Pilz Untermieter hat oder aber zumindest überständig ist. Es wäre also völlig sinnlos, ihn jetzt noch abzuschneiden oder aus dem Boden zu hebeln. Stattdessen lassen Sie Ihn einfach stehen, denn seine Sporen entwickeln sich trotz allem weiter, und so kann er wenigstens noch seine primäre Aufgabe erfüllen.
Liefert Ihnen der Fingerdruck kein sicheres Gefühl, können Sie immer noch Ihr Messer zücken und ein kleines „Tortenstück“ aus dem Hut herausschneiden. Wenn dieses Stückchen Fraßgänge im Fleisch aufweist, haben Sie den Beweis für Untermieter gefunden und können den Pilz wiederum im Wald lassen.
Ist der Kamerad dagegen schön festfleischig bzw. strahlt Ihnen aus dem Hutstückchen reines Fruchtfleisch entgegen, dann können Sie ihn beruhigt ins Körbchen legen, denn selbst wenn im Stiel noch ein paar Würmchen stecken sollten – bis Sie zu Hause sind, kommen die nicht raus.
Sie sehen, wie Sie der weitestgehende Verzicht auf Ihr Tranchierwerkzeug dazu nötigt, sich etwas intensiver mit jedem gefundenen Pilz auseinanderzusetzen. Wenn Sie in diesen bezaubernden Geschöpfen mehr als nur einen vollen Magen sehen, wird es Ihnen bald gelingen, Ihre Artenkenntnis zu erweitern und ein wahrer Pilzkenner zu werden.
Wenn Sie auf Ihren Pilzzügen außerdem immer einen luftdurchlässigen Korb verwenden, werden Ihre Pilze auch nach der Heimkehr noch appetitlich aussehen. Körbe, die etwas grobmaschiger sind, sind übrigens noch besser geeignet als die beliebten Erdbeerkörbchen, denn diese bestehen meist aus breiten Spänen und sind daher nicht sehr luftig. Papier oder Folie halten den Korb zwar schön sauber, doch so ausgekleidet nützt selbst der luftigste Weidenkorb nichts mehr – am Ende sind Ihre Pilze dann doch wieder „im Eimer“. Nicht vergessen: Wenn sie verderben, sind selbst Steinpilze Giftpilze!